Dezember 2009

Bilder anklicken, um ein Vollbild zu sehen.

Vorher ...

... nachher

Frohe Weihnacht von den Schrappelmanns

Weihnachten 2009. Das waren noch Zeiten, als Peter in Good Old Germany von seinen Freunden liebevoll als "Weihnachts-Pittee" tituliert worden war. Damals schmückte er vor dem Fest seine Wohnung mit Rauschegold, packte liebevoll Geschenke ein und bastelte Adventskalender. Das alles änderte sich schlagartig mit dem Umzug nach Down Under. Bei 35 Grad im Schatten — und wo gibt es den schon? — will einfach keine romantische Feststimmung aufkommen. Wir waren daher in der Vergangenheit dazu übergegangen, Weihnachten gar nicht mehr zu feiern. Stattdessen waren wir sogar oft in Urlaub gefahren — Overland Track, südliches NSW, Nordwest-NSW —, denn das gab uns ein paar Tage Vorsprung vor den Massen, die am zweiten Weihnachtsfeiertag auf die Highways und Campingplätze strömten. Denn hier ist ja Sommerferienzeit.

Mit Kindern und (Schwieger-)Eltern im Haus ändert sich das wiederum schlagartig, und so kommt es, dass wir in 2009 ein "richtiges" Weihnachten feiern. Dazu gehören die Tanne im Wohnzimmer, Christstollen vom Aldi, und Geschenke unter dem Baum. Niklas und Jonas wissen zwar mit der Idee Weihnacht nichts anzufangen, verstehen aber sehr wohl, dass die bunten Päckchen zum Auspacken sind. Und wieviel Spaß sie daran haben! Und erst am Inhalt! Wir packen einige Geschenke beiseite und heben sie für die folgenden Tage auf, damit die Eindrücke die beiden nicht komplett überwältigen. Aber auch so haben sie mit Wippe und Legosteinen, Bällen, Holzpuzzles u.v.m. jede Menge, was sie beschäftigt hält. Ausserdem hatten Claudia und Peter liebevoll eine Spanholzplatte aus dem Baumarkt mit einer Landschaft bemalt, so dass sie nun die Basis für die erste Spielzeugeisenbahn (aus Holz) unserer Junioren ist.

Nach dem Zu-Bett-gehen der Jüngsten verbringen die vier Älteren einen geruhsamen Heiligabend. Zu Essen gibt es Australien-typisch Garnelen vom Grill sowie kalten Schinken mit Salaten. Zugegeben, eine Gans mit Knödeln, Maronen und Kraut wäre authentischer. Bei sommerlichen Temperaturen ist daran aber nicht zu denken ...

Leider setzt mit dem Weihnachtsfest auch eine mehrtägige Schlechtwetterperiode ein, der der Ausflug zum Start der Regatte von Sydney nach Hobart zum Opfer fällt. Im Gegensatz zu früheren Jahren schauen wir uns dieses Ereignis daher einfach nur im Fernsehen an. Naja, Pico und Gisela, heben wir uns diesen Programmpunkt eben für Euren nächsten Besuch auf.

Der Unruhestifter vor dem Trubel ...

... und danach

Jahresrückblick. Eine ungewöhnliche Episode für einen Monatsbericht. Ungewöhnlich, weil sie sich nicht auf eine Geschichte in einem speziellen Monat bezieht, sondern auf eine, die fast unser gesamtes 2009 bestimmte und überschattete. Manche von Euch wissen bereits davon, anderen wollten wir die Sorgenfalten ersparen. Nun, wo sich alles zum Guten gewendet hat, wollen wir berichten. Die Geschichte beginnt mit einem verbrannten Hintern ...

Der 7. Februar 2009 wird als "Black Saturday" in Australiens Geschichte eingehen: An diesem Tag wüten im Bundesstaat Victoria außer Kontrolle geratene Waldbrände, die über 170 Menschen das Leben kosten und mehr als 2000 Häuser und unzählige Existenzen vernichten. Bei Temperaturen nahe 40 Grad wappnen auch wir uns. Früh am Morgen steigt Peter auf's Dach, um die Regenrinnen von Blättern und Ästen zu befreien. "Keep your gutters clean!" lautet Regel Nummer 1 für alle, deren Häuser waldbrandgefährdet sind.

Die Arbeit zieht sich länger hin als geplant, die Sonne steigt, mit ihr die Temperaturen. Auf unserem Metalldach wird es fast unerträglich heiss. Immer wieder zuckt Peter zusammen, wenn er aus der Hocke mit dem Allerwertesten versehentlich das Blech berührt. Abends wird er über Thrombose-artige Geschwüre klagen, die zwei Tage später in einem kleinen operativen Eingriff entfernt werden. Peter, dessen schwerste Krankheit bis dahin die Masern im Alter von zehn Jahren gewesen waren, verbringt seit seiner Geburt die erste Nacht im Krankenhaus.

Bis hierhin ganz witzig und recht unspektakulär. Der behandelnde Arzt empfiehlt, im Rahmen der Nachuntersuchung doch gleich eine Darmspiegelung zu machen. Und nun beginnt der Alptraum ...

An einem Freitag dem Dreizehnten findet die Untersuchung statt, und wenige Tage später bewahrheitet sich, was der Arzt direkt im Anschluss daran andeutete: Peter hat Darmkrebs. Wie sich im weiteren herausstellt im Stadium T3N1M0. Aber bis dahin ist es ein langer Weg voller Anspannung und Ängste. Denn die ersten Folgeuntersuchungen, Ultraschall und Computertomographie, zeigen einen Flecken auf der Leber. Erst ein MRI belegt, dass es sich um ein harmloses Blutgerinnsel handelt.

Peter wird in den Folgemonaten das volle Spektrum an Therapien kennenlernen: Chemotherapie, Bestrahlung, Operation. Ehe es damit losgeht, stehen aber andere Dinge im Vordergrund: Wie nämlich bewältigt man den Alltag vor dem Hintergrund dieser Krankheit? Wie sich glücklicherweise herausstellen wird, kommt Peter mit den Therapien erstaunlich gut zurecht. Aber dies werden erst die Folgemonate ergeben. Im März und April müssen wir noch davon ausgehen, dass Claudia zwei Kleinkinder, ein Haus, einen Garten und nun auch noch ganz nebenbei einen Pflegefall zu versorgen hat — ein Ding der Unmöglichkeit! Zwar bieten uns viele Freunde ihre Hilfe an, und die Kirche im Stadtteil schickt zwei reizende ältere Damen, die anbieten, auf Jonas und Niklas aufzupassen. Doch diese Angebote würden nur einen Bruchteil der Zeit abdecken, die für Alltagsaufgaben nötig sind. Da trifft es sich gut, dass Claudia just in dieser Phase der Unklarheit zufällig einem Vortrag der Multiple Birth Association, unseres "Zwillingsclubs", beiwohnt, der vom sogenannten Special Childcare Benefit handelt. Der australische Staat greift Familien in Notlagen in Form von bezahlten Kinderbetreuerinnen unter die Arme. Wir stellen einen Antrag, legen Atteste und Bestätigungsschreiben bei und bekommen prompt für uns unentgeltliche Hilfe zugestanden: Für ein halbes Jahr siebzig (!) Stunden Kinderbetreuung pro Woche. Und so kommt es, dass ab Anfang April wochentags Kim, an den Wochenenden Moira zu unserer Familie gehören. Sie kümmern sich um alles im Umfeld Niklas und Jonas, so dass Claudia der Rücken freigehalten wird für alle Alltagstätigkeiten.

Akut wird nun auch die Wahl der Ärzte. Bisher war diese von außen und vom Zufall gesteuert gewesen: Der Hausarzt hatte im Februar einfach den ersten Chirurgen auf seiner Liste angerufen, der hatte Peter operiert, die Darmspiegelung gemacht, Diagnose gestellt, ihn an den Onkologen Dr. Gavin Marx überwiesen. Gavin wiederum möchte einen Radioonkologen für die Strahlentherapie mit ins Boot holen. An dieser Stelle greifen wir das erste Mal ein. Zum einen ist uns der vorgeschlagene Arzt etwas zu flapsig. Zum anderen arbeitet er nur in einem Privatkrankenhaus, was immense Zusatzkosten mit sich brächte. Wir bitten Gavin um einen weiteren Namen und werden an Dr. Andrew Kneebone am Royal North Shore (RNS) Hospital verwiesen.

Andrew stellt sich als eine bemerkenswerte Persönlichkeit heraus. Er nimmt sich gleich zwei volle Stunden, um mit Peter die Krankheit, ihre Implikationen, Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapien zu besprechen, aber auch einfach mal nachzuhaken, wie wir mit der Situation eigentlich klarkommen, welche Ängste und Sorgen uns drücken. Peter fasst so viel Vertrauen, dass er Andrew einige Wochen später nach einem Chirurgen fragen wird. Nicht dass der bisherige schlechte Arbeit geleistet hätte. Aber in einer Frage dieser Größenordnung will Peter sicher sein, einen Spezialisten, wenn möglich den besten, als behandelnden Arzt zu haben. Andrew ist in diverse Studien involviert, kennt Statistiken, die belegen, welcher Arzt der erfolgreichste ist (gemessen an der Wiederkehrwahrscheinlichkeit des Krebs nach der Operation) und nennt drei Namen. Kurz darauf haben wir ein Gespräch mit Dr. Stuart Pincott.

Stuart strotzt nur so vor Energie und Optimismus. Sein erklärtes Ziel ist es, dass Peter 105 Jahre alt wird, und er versichert uns, dass die Diagnose kein Todesurteil bedeute. Er erläutert die Statistiken, diverse Operationsmethoden und zeigt einen Zeitplan für die nächsten Schritte und Jahre auf. Er versichert Peter, dass der nichts falsch gemacht habe, sondern einfach Pech hatte: Der Krebs ist vererbt (Peters Großvater war 25 Jahre zuvor ebenfalls mit Darmkrebs diagnostiziert worden). Und Stuart zeigt auf, dass unsere Kinder leider auch erhöhtes Risiko tragen, diese Krankheit zu entwickeln, gibt aber auch gleich Tipps, wie man sich hier durch DNA-Tests Gewissheit verschaffen kann. Wir verlassen seine Praxis in der Gewissheit, den Kampf gegen den Krebs mit dem bestmöglichen Team anzugehen.

Die Therapie selbst sei hier nur kurz erwähnt: Von Ende April bis Anfang Juni trägt Peter sechs Wochen lang eine kleine Pumpe mit sich herum — seinen eigenen, privaten Tropf —, die Milliliterweise Zytostatika in ihn hineinpumpt. Gleichzeitig geht er werktags immer ins RNS Hospital zur Bestrahlung, die nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Wichtige Erkenntnis: In Anbetracht der "versprochenen" Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Erschöpfung, Schleimhautentzündungen und Blutbildveränderungen kommt Peter außerordentlich gut weg. Ja, seine Blutwerte leiden, aber er spürt keine Konsequenzen außer Müdigkeit. Und gegen die kann man ja mit frühem Zu-Bett-gehen oder einem Spaziergang etwas machen.

Überhaupt versucht Peter, sich so fit wie möglich zu halten und ein normales Leben zu führen. Während der gesamten Therapie arbeitet er weiterhin und geht selbst mit dem Tropf unter der Achsel dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio. Dazu kommen tägliche Spaziergänge zwischen dem RNS und dem Arbeitsplatz in North Sydney. Peter verliert drei Kilo um den Bauch herum und fühlt sich fit für die Operation im letzten Julidrittel.

Zuvor jedoch darf er nach Ende der Radiochemotherapie regenerieren. Sieben Wochen führen wir ein ganz normales Leben, Zeit, die wir u.a. für unseren Jahresurlaub in Fingal Bay sowie mehrere Wanderungen und Radtouren nutzen.

Am 21. Juli kommt Peter unter's Messer, schon eine Woche später darf er das Krankenhaus verlassen. Seither ziert ein gut zwanzig Zentimeter langer "Reissverschluss" seinen Bauch, da, wo etwa zehn Zentimeter Darm entfernt worden waren.

Rückblickend gingen wir natürlich durch Höhen und Tiefen. Es gab Momente, in denen die Krankheit vergessen war und wir ganz normal lebten (mit dem zusätzlichen Luxus eines Kindermädchens). Aber es gab auch die düsteren Augenblicke. Peter erinnert sich vor allem an zwei: Ganz zu Anfang der Krankheit, als er nach dem ersten, intensiven Gespräch mit Andrew Kneebone ins Büro kam, zum Beispiel. Dort registrierte Sitznachbarin Louise seine Nachdenklichkeit, nahm ihn in den Arm, äusserte verständige Worte und erwähnte beiläufig, dass da ja noch "die beiden Kleinen seien, die einem zwischen den Beinen herumkrabbeln". Da brachen bei Peter alle Dämme. Oder ein paar Tage nach der Operation, am 25. Juli: Peter hat sich morgens in die Dusche geschleppt, schaut an sich herunter, sieht all die Pflaster und Schläuche, die in seinem ziemlich zerschundenen Körper münden. In dem Augenblick erinnert er sich an den Samstag genau eine Woche zuvor, als er mit Freunden eine Radtour gemacht hatte. Durch den Nationalpark waren sie gefahren, entlang gewundener, von Eukalyptuswäldern und Sandsteinklippen berandeter Straßen. Schließlich waren sie am Meer angekommen, hatten am Strand Kaffee getrunken, ehe man sich aufmachte zur Rückkehr. Hundert herrliche Kilometer waren so zusammengekommen. Und nun das! Peter ist sein Körper fremd geworden. Es wird einige Zeit dauern, bis er all diese Aktivitäten wieder aufnehmen kann.

Doch nur eine halbe Stunde später kommt Stuart zur Visite vorbei, und er hat Neuigkeiten: Die Biopsieresultate belegen, dass alle entfernten Krebszellen tot waren. Chemotherapie und Bestrahlung hatten ganze Arbeit geleistet, Peter ist krebsfrei! Peters Stimmung wechselt in Sekundenbruchteilen von zu-Tode-betrübt zu himmelhoch-jauchzend. Die Aussichten sind nun um ein Vielfaches besser.

Dennoch ist die Reise noch nicht zu Ende: Gerade weil man nun Gewissheit hat, dass die Medikamente bestens anschlugen, wird eine weitere Runde Chemotherapie angeraten, um auch die letzte Krebszelle im Körper noch zu töten. Im Gegensatz zur ersten Runde trägt Peter diesmal seinen "privaten Tropf" nur für jeweils zwei Tage mit sich, dies jedoch achtmal im zweiwöchentlichen Rhythmus. Die Therapie wird Ende August aufgenommen und zieht sich bis Mitte Dezember hin. Peter hat den Eindruck, diesmal mehr zu leiden. Aber vielleicht hat er sich Erkältung oder Darmgrippe auch einfach von den Jungs geholt, die nun jede Menge Bakterien aus der Krippe im Fitnessstudio oder von Zwillingstreffen anschleppen. Unterm Strich kommt Peter auch diesmal glimpflich davon.

Es ist schwer, eine solche Monatsberichtsepisode abzuschließen. Vor allem hoffen wir inständig, dass diese Geschichte auch wirklich abgeschlossen ist. Peter wird sich in den kommenden Jahren immer wieder Folgeuntersuchungen unterziehen müssen, Daumendrücken ist also weiterhin angebracht! Auch wenn Andrew Kneebone meinte, dass Peter eher vom Taxi überfahren würde, als an diesem Krebs zu sterben. Zu guter Letzt noch unser Dank an alle, die mit uns durch diese Phase gingen: Die Doktoren und Krankenschwestern, Familie und Freunde, alle, die uns ihre Hilfe anboten oder Unterstützung zum Ausdruck brachten. Wir haben in diesem Jahr gelernt, wie viele echte Freunde wir um uns haben, und gehen nun gestärkt in ein neues Jahr 2010, das hoffentlich weniger aufreibende Überraschungen mit sich bringen wird.